Was macht einen Menschen „faul“? Rede der Schlächter, Etikett fürs Lager.

Alois Niederwieser

 

Geburtsdatum 13.3.1906
Geburtsort Anras
Todesdatum 18.10.1943
Todesort KZ Mauthausen

Der Hilfsarbeiter Alois Niederwieser lebte mit seiner Frau Agathe, einer gebürtigen Greifenburgerin, bis etwa März 1941 in der Ortschaft Rasdorf bei Greifenburg. Alois Niederwieser wurde zu diesem Zeitpunkt das erste Mal in Haft genommen. Der Vorwurf gegen ihn lautete auf „asoziales Verhalten“. Seine Frau hatte sich bereits im Herbst des vorangegangenen Jahres beim Landrat des Kreises Spittal und hernach beim Bürgermeister von Greifenburg über einen unsteten Lebenswandel ihres Mannes beschwert, etwa dass er nirgends länger als zwei Wochen arbeiten wolle und nicht für ihren Unterhalt sorge. Sie schlug vor, ihn in ein Arbeitslager einzuliefern, „damit endlich einmal eine Seßhaftmachung erzielt wird und mir Mittel für den Lebensunterhalt gesichert werden“.

Auf Geheiß des Bürgermeisters führten die lokalen Gendarmen nun Erhebungen durch, die „eine Einweisung zur Zwangsarbeit notwendig ergaben, zumal“, meinte der Bürgermeister, „es ja durchaus nicht angeht, dass bei der herrschenden Knappheit an Arbeitern die Arbeitskraft unausgenützt bleibt und eine andere Möglichkeit nicht besteht.“ Die Erhebungen hatten aber auch zur Folge, dass Agathe Niederwieser selbst als „arbeitsscheu“ eingestuft und solcherart kategorisiert an das Bezirksfürsorgeamt gemeldet wurde.

Im Herbst 1941 beantragte das Fürsorgeamt beim Reichsstatthalter in Klagenfurt ihre Einweisung in ein Arbeitshaus. „Gerade jetzt in der Kriegszeit“, so der Landrat, „kann nicht stillschweigend zugesehen werden, dass sich einzelne Personen im besten Alter ohne Arbeit durchs Leben schlagen, während andere Volksgenossen ihre letzte Kraft hergeben, um einmal dem Volksganzen zu dienen …“. Dem Antrag des Bürgermeisters wurde stattgegeben. Agathe Niederwieser wurde bis Herbst 1943 in dem „Frauenlager“ Bischofsried in Bayern zur landwirtschaftlichen Arbeit gezwungen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie sich so weit „gebessert“, dass sie einem Bauern in ihrem Heimatort Greifenburg gegen Kost und Logis zur Arbeit zugewiesen wurde. Hintergrund ihrer Entlassung war aber nicht ein „pädagogischer“ Erfolg der Zwangsmaßnahme, sondern ein Streit um die Finanzierung ihres Aufenthaltes in dem Lager. Die Kosten hatte nämlich der Reichsstatthalter von Kärnten zu tragen, wozu er nicht mehr willens war. Die Gemeinde Greifenburg wehrte sich aber gegen die Rückstellung von Agathe Niederwieser, da sie ebenfalls Kosten befürchtete. Der Bürgermeister versuchte, sie der Zuständigkeit des Spittaler Fürsorgeamtes zuzuschieben. Welche „Lösung“ für Agathe Niederwieser gefunden wurde, geht aus den vorhandenen Dokumenten nicht hervor. Immerhin überlebte sie ihre zwangsfürsorgliche Behandlung durch die lokalen, regionalen und die Reichsstellen des NS-Regimes. In den ersten Nachkriegsjahren lebte sie als Entmündigte in Greifenburg.

Was ihren Mann Alois betraf, so war der Vorschlag des Greifenburger Bürgermeisters, ihn in ein Zwangsarbeitslager einzuweisen, der Auftakt zu einer tödlichen Behandlung durch die NS-Behörden. Bis zu seiner ersten Inhaftsetzung im März 1941 war Alois Niederwieser den NS-Behörden nicht negativ aufgefallen. Es gibt Indizien dafür, dass er im Jahr 1942 noch einmal aus einer Zwangsmaßnahme des NS-Staates entlassen worden ist. Doch wer einmal als „arbeitsscheu“ und „gemeinschaftsschädlich“ kategorisiert war, blieb im Visier der Gestapo. Allen vorliegenden Hinweisen zufolge wurde der 37-Jährige im Herbst 1942 von Beamten der Gestapostelle Lienz in seiner damaligen Wohnung in Anras verhaftet und in das KZ Mauthausen deportiert. Die Lager-SS registrierte ihn als „Schutzhäftling“. Strafrechtlich lag also nichts gegen Alois Niederwieser vor. Das bedeutete, dass die Gestapo Alois Niederwieser festgenommen hatte, weil sie beschlossen hatte, er gefährde „den Bestand und die Sicherheit des Volkes und des Staates“ (Erlass vom 25.1.1938 zur Verordnung zum Schutz von Volk und Staat aus 1933).

Die Schutzhaft war zeitlich unbegrenzt und jeder rechtlichen und rechtsstaatlichen Kontrolle entzogen, gegen sie konnten keinerlei Rechtsmittel ergriffen werden. Der Tod von Alois Niederwieser wurde am 18. Oktober 1943 im Sanitätslager des KZ registriert. Angeblich starb er an Furunkulose und Blutvergiftung (Sepsis). Das „Sanitätslager“ befand sich außerhalb der Mauern des KZ. Es gab dort praktisch keine medizinische Versorgung. Es war nichts anderes als ein Ort, an den durch die Sklavenarbeit im Steinbruch oder in Außenlagern körperlich völlig zerstörte Häftlinge gebracht wurden. Viele dieser Menschen wurden dann durch Vergasung entweder in der Gaskammer des KZ Mauthausen oder im Schloss Hartheim ermordet.

Auch darin bestand der tödliche Zynismus des NS-Systems: Die Arbeitskraft eines unbescholtenen Hilfsarbeiters, mit der er sich 1940 noch durch Gelegenheitsarbeiten selbst erhalten konnte, wurde, eingeleitet durch Aktivitäten des lokalen Bürgermeisters, zum Wohle des „Volksganzen“ innerhalb von drei Jahren durch Zwangs- und Sklavenarbeit restlos „verwertet“ und ausgebeutet, also zu Tode gerichtet.

Quellen

Dossier zu Agathe Niederwieser, Gemeindearchiv Greifenburg; Mitteilung der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, 20.1.2010.