Ist das kein Mensch? Der für uns’re Freiheit starb.

Georg Dereatti

Geburtsdatum 23.4.1898
Geburtsort Unterwollanig
Todesdatum unbekannt [1944/45]
Todesort unbekannt [letzter bekannter Aufenthalt Primorska/Slowenien]

Der Widerstandskämpfer Georg Dereatti war der wichtigste Wegführer, Kurier und Organisator von Widerstandsverbindungen der Österreich-Abteilung des britischen Kriegsgeheimdienstes „Special Operations Executive“ (SOE) im Jahr 1944 in Oberkärnten und Osttirol. SOE versuchte im Sommer und Herbst 1944 von den friulanischen Partisanengebieten aus, Widerstand in Österreich zu organisieren.

Georg Dereatti, am 24. April 1898 in Unterwollanig bei Villach (nicht im Villgratental, wie in manchen SOE-Quellen angegeben) als Sohn von Marianna Maier und des aus Italien stammenden Eliodoro Giovanni Dereatti geboren, erlernte den Beruf des Bäckers. Mitte der 1930er Jahre ging Dereatti in Folge von Arbeitslosigkeit nach Friaul, wo er in Gemona in seinem erlernten Beruf tätig war. Als ihn die deutschen Besatzungsbehörden Ende 1943 als Dolmetscher rekrutieren wollten, schloss er sich Ende Jänner 1944 den friulanischen Osoppo-Partisanen an. Im Juni 1944 beauftragte ihn der bei den Osoppo-Partisanen in Tramonti stationierte SOE-Offizier Manfred Czernin (Sohn des k.u.k.-Diplomaten Otto Czernin), in Kärnten und Osttirol sichere Unterkünfte für nachkommende österreichische Widerstandskämpfer und SOE-Offiziere zu organisieren, die Czernin im Sommer in das Deutsche Reich einschleusen wollte.

Im Sommer und Herbst 1944 überquerte Georg Dereatti nach Aufzeichnungen der SOE insgesamt sieben Mal die Karnischen Alpen, um Kontakte zu NS-GegnerInnen und QuartiergeberInnen im Villgratental, im Drau-, Gail- und Lesachtal sowie in Villach herzustellen. Diese Aktivitäten und Kontakte sind in SOE-Berichten genau dokumentiert, ebenso in Verhörprotokollen der OZNA aus dem November und Dezemer 1944 (siehe dazu weiter unten). Dereatti pendelte als Kurier und Organisator zwischen dem Villgratental, Oberdrauburg, wo sich in Unterpirkach zeitweise der SOE-Mitarbeiter und Widerstandskämpfer Hubert Mayr verbarg, Villach, wo seine Freundin Maria Kantzi eine Arbeiterküche betrieb, Anlaufstellen im Oberen Gailtal und den SOE-Stützpunkten in Friaul hin und her.

Dereatti, der während der Wirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre mangels Arbeit als Schmuggler zwischen Italien, Österreich und Deutschland tätig war, galt als geschickter, erfindungsreicher Passeur; jemand, der Grenzen für Illusionen der Herrschenden und ihrer Untertanen hielt, wie der SOE-Offizier Patrick Martin-Smith in seinen Erinnerungen "Widerstand vom Himmel" festhielt.

Dereatti wurde im Zuge seiner ersten subversiven Reise in das Lienzer Becken im Juni 1944 von der Gestapo festgenommen, ihm gelang bei einem Arbeitseinsatz aber die Flucht zurück nach Friaul. Trotz dieser Erfahrung setzte er seine Verbindungstätigkeit fort. Den Beschreibungen von Patrick Martin-Smith zu Folge war Georg Dereatti ein überzeugter Antifaschist und Sozialist.

In den Quellen der SOE ist der letzte gesicherte Aufenthaltsort mit Ende Oktober 1944 angegeben, als er gemeinsam mit den Wehrmachtsdeserteuren und SOE-Mitarbeitern Albert Wieser, Robert Schollas, Alois Pucher, Karl Schmid und Stefan Hassler von Sauris di Soppo aus nach Österreich vordrang. Sein Auftrag war, Stützpunkte für eine künftige SOE-Mission in Salzburg aufzubauen. Die Nachkriegsermittlungen der Briten zu seinem Verbleib blieben ohne Ergebnis. Zuletzt soll Dereatti demnach im März 1945 in Villach gesehen worden sein, allerdins ohne genaue Anhaltspunkte. Am 16. Juli 1945 erklärte die SOE Georg Dereatti für gefallen. Sein Schicksal blieb ungeklärt. In Österreich blieb Dereatti völlig unbekannt.

Im Juni 1991 erinnerte sich Patrick Martin-Smith in einem Interview für das Imperial War Museum an seinen engen Mitarbeiter, den er nach Kriegsende in Oberkärnten und Osttirol vergeblich gesucht hatte. Wenn man Patrick Martin-Smith zuhört, wie er von den mühsamen Versuchen erzählt, die Karnischen Alpen zu überwinden, von den Hoffnungen, in Österreich auf Widerstandsgeist zu stoßen, wie er die prekäre Lage der Partisanen und die Not und den Hunger der Zivilbevölkerung unter der deutschen Besatzung in Friaul schildert und wenn man seine Erinnerungen daran liest, bekommt man vielleicht eine Ahnung von den Anstrengungen, Entbehrungen und Risiken, die Georg Dereatti auf sich genommen hat, um das NS-System mit seinen – vergleichsweise – bescheidenen Kräften zu unterminieren. Er war, mit den Worten von Patrick Martin-Smith, „an extraordinary man”.

Seit dem Fund der Protokolle des jugoslawischen Geheimdienstes OZNA (Oddelek za zašÄito naroda, dt: Abteilung zum Schutz des Volkes) über Verhöre von Hubert Mayr, Rudolf Moser und Georg Dereatti lassen sich seine weiteren Bewegungen bis Ende Dezember 1944 in Grundzügen rekonstruieren. Im Unterschied zu Rudolf Moser und Hubert Mayr wurde Dereatti erst im Dezember in der Primorska (slowenisches Küstenland) von der OZNA festgenommen. Sein Verhör ist mit 23. Dezember 1944 datiert.

Im Protokoll gibt es keine Hinweise darauf, dass Dereatti von der vorangegangenen Festnahme Mosers und Mayrs wusste. Im Verhör bezeichnete Dereatti Mayr mit dem Namen "Leutnant Josef", jener Deckbezeichnung, die Mayr gegenüber NS-Gegnern in Kärnten und Tirol verwendete und die vollständig "Josef Rimmel" lautete. Die Identität von "Leutnant Josef" mit Hubert Mayr ist auch durch eine genaue Beschreibung der äußeren Erscheinung durch Dereatti, die im Protokoll festgehalten ist, gesichert. Bei der Auswertung des Verhörprotokolls ist aber Vorsicht geboten: In dem mehrseitigen Dokument sind offensichtlich widersprüchliche Angaben zu Zeiten, Orten und Namen enthalten, die sowohl mit dem Charakter der Verhörsituation zu tun haben dürften, in der Dereatti unter Druck stand, als auch mit einer fehlerhaften oder missverständlichen Protokollierung. Über die genauen Umstände der Verhöre, beispielsweise die verwendete Sprache, wissen wir so gut wie nichts.

Die Angaben des Protokolls können aufgrund der phonetischen Schreibweise, Verständigungsschwierigkeiten, Protokollierungsfehler, Namensverwechslungen etc. jedenfalls nicht eins zu eins übernommen werden. So ist Rudolf Moser im Protokoll als "Handwe" (richtig: Henry) angeführt und sein Wohnort mit Dellach im Drautal angegeben, was eine Verwechslung mit Dellach im Gailtal darstellt u. a. m.

Dereattis Schilderung seiner Aktivitäten bis Ende Oktober 1944 decken sich weitgehend mit den Informationen aus den SOE-Quellen sowie Aufzeichnungen in NS-Quellen und bieten zusätzlich eine Reihe von neuen interessanten Details über seine Verbindungen in Friaul, Oberkärnten und Osttirol. Der geplante Abwurf von Waffen im Villgratental stand offenbar mit dem Vorhaben in Zusammenhang, die im Pustertal in Steinbrüchen, Fabriken und Sägewerken befindlichen Zwangsarbeiter  zu bewaffnen. Im Villgratental sollen etwa 50 Personen für den Empfang der Waffen bereit gestanden sein. Hubert Mayr habe auch Propagandamaterial mit nach Österreich genommen, etwa Flugblätter mit den Parolen "Wer heute noch kämpft, kämpft gegen Österreich!" oder "Wer nicht schießt, wird auch nicht erschossen!"

Was den Weg Dereattis zu den Partisanen in Slowenien betrifft, weicht seine Darstellung stark von den Angaben ab, die Rudolf Moser und Hubert Mayr in den Verhören gemacht hatten. Offenbar wusste Dereatti nicht, dass die beiden ebenfalls von der OZNA festgenommen worden waren. Dereatti schilderte den OZNA-Männern laut Protokoll, dass er sich gemeinsam mit Hubert Mayr ("Leutnant Josef"), Stefan Hassler ("Otto") und Albert Wieser ("Albert") Anfang November von Dellach im Drautal aus auf den Weg gemacht habe, um über Tarvis wieder Anschluss zu den britischen Offizieren in Friaul zu finden. Auf dem Weg sei die Gruppe in mehrere Gefechte mit der Landwacht geraten, bei denen "Leutnant Josef" (Hubert Mayr), "Otto" (Stefan Hassler), Albert Wieser und ein weiteres Mitglied der Gruppe gefallen seien. Alle drei Angaben waren falsch. Stefan Hassler wurde am 11. November 1944 in seinem Heimatdorf Dellach im Drautal erschossen (was Dereatti nicht wissen konnte), Albert Wieser überlebte (auf unbekannte Weise) den Krieg und starb erst 1973, Hubert Mayr befand sich Mitte November in der Gewalt der OZNA. Der Hintergrund der falschen Schilderungen bleibt unklar.

Schließlich, so Dereatti weiter, habe er als einziger Überlebender der Gruppe bei  Rosenbach den Anschluss an slowenische Partisanen gefunden. Nach vierzehn Tagen sei er Ende November 1944 von Partisanenkurieren nach Cerkno gebracht und dann einer Triestiner Partisanenbrigade im Karst zugeteilt worden. Er sei schließlich von einer Partisanenpatroulllie festgenommen worden, weil er sich ohne Erlaubnis eine Viertelstunde von seiner Brigade entfernt hätte, um bei einem Bauernhof Brot zu kaufen. Der Grund für die Festnahme war, dass er keine Dokumente bei sich hatte, erklärte Dereatti.

Besonders aufschlussreich sind die letzten Passagen des Verhörprotokolls. Darin legte Dereatti - offenbar auf intensive Nachfrage - dar, mit wie viel Geld die britischen Offiziere für ihre Operationen in Österreich ausgestattet waren, er nennt seinen Decknamen "Vienna" [protokolliert: "Wiena"] und er distanziert sich von seiner Kooperation mit den Briten und mit Hubert Mayr, über den er laut Protokoll sagte: "Seine Tendenz war offensichtlich, dass er auch antikommunistische Ziele verfolgte. Darüber sprach ich auch mit Hendwe [i. e. Rudolf Moser], er hat mich darauf aufmerksam gemacht, weil er Kommunist war. Wir sagten, dass es wieder keine Freiheit für Österreich sein werde, wenn die Engländer herrschen werden." Er rechtfertigte seine Zusammenarbeit mit den Briten folgendermaßen: "Es war mir aber nicht gänzlich bewusst, dass ich eigentlich für die Interessen der Engländer tätig war, und nicht für die Interessen des österreichischen Volkes. Ich kam eben zu den Partisanen in Italien im guten Glauben, dass ich gegen den Faschismus kämpfen werde und damit auch für Österreich." Schließlich ist protokolliert, dass er "absolut nicht mehr auf diese Weise weiter arbeiten [wolle] wie jetzt". Er werde zu seinem britischen Kommando zurückkehren, seinen Lohn verlangen, um sich dann den jugoslawischen Partisanen anzuschließen. [Wörtliche Zitate sind Übersetzungen aus dem Slowenischen.]

Die Schilderungen Dereattis zeigen, dass er bemüht war, sich von seinen bisherigen Partnern im Widerstand loszusagen. Seine Angaben bestätigten der OZNA wohl die großen Anstrengungen der Briten, in Kärnten, Tirol und Salzburg bei NS-GegnerInnen Fuß zu fassen und britische Präsenz aufzubauen, was den Interessen der slowenischen Führung bei ihrem Staatsaufbau im Untergrund zu dieser Zeit fundamental widersprach.

Wie die OZNA mit Dereatti weiter umgegangen ist, erschließt sich aus den Dokumenten nicht direkt. Unklar ist auch der Ort des Verhörs, der im Protokoll lediglich als "Standort" bzw. "Position" [Položaj] angegeben ist. Das Verhörprotokoll befindet sich in den Beständen der 2. Sektion der OZNA-Zentrale für Slowenien. Die Historikerin und Archivarin Ljuba Dornik Šubelj, eine augewiesene Expertin für die Geschichte der OZNA, untersuchte in ihrem Buch "Oddelek za zašÄito naroda za Slovenijo" (1999) Exekutionen der II. Sektion der OZNA. Demnach befanden sich unter den 55 Hingerichteten auch neun "Deutsche" und zwei "Italiener". Ihre Feststellung, dass die OZNA-Standorte "bei allen Justifizierten (...) die Berichte und Verhörprotokolle" an das OZNA-Kommando geschickt haben, gilt somit auch für das Protokoll des Verhörs mit Georg Dereatti und ist ein Indiz dafür, dass er die Festnahme und das Verhör nicht lange überlebt hat. 

Siehe auch Johann, Ludwig und Stefan Hassler, Hubert Mayr, Rudolf Moser, Robert Schollas

Quellen

Arhiv Republike Slovenije (ARS), AS 1931, Republiški sekretariat za notranje zadeve (AS 1931), t. e. 688, 301-5, OZNA za Slovenijo, II. odsek, mapa 1, Zapisniki zaslišanj A-F, Zapisnik o zaslišanju Dereatti Georg (Protokoll über das Verhör des Dereatti Georg), na položaju, 23.12.1944 [Mikrofilmrahmennr. A 452029-452036]; Dokumente und Telegramme in TNA HS 6/22 (Bestand SOE-Abteilung für Österreich, Einsätze 1944/45); Personnel File SOE Georg Dereatti, TNA HS 9/420/4; Patrick Martin-Smith, Interview, Sound Archive Imperial War Museum London, 1.6.1991; Interview mit Rosa Dereatti u. Helga Klammbauer, 3.10.2004; Chroniken der Gendarmerieposten Dellach/Drau (DÖW 17858/3), Oberdrauburg (DÖW17858/15), Möllbrücke (DÖW 17858/14); zu den Ereignissen der Verfolgung der Gruppe um Stefan Hassler durch Landwacht, Gendarmerie und Gestapo im Drautal: KLA KLR-4 2625/5; KLA LGK 17Vr404/46; Matriken der Evangelischen Pfarrgemeinde A.B. Villach-Stadtpark, Geburtenbuch.

Literatur

Patrick Martin-Smith: Widerstand vom Himmel. Österreich-Einsätze des britischen Geheimdienstes SOE 1944, hg. v. Peter Pirker, Wien 2004, passim; Peter Pirker: Agenten, Kuriere und Sichere Häuser, in: Martin-Smith, Widerstand vom Himmel, S. 357-358; Michael Koschat: Die Kooperation österreichischer Widerstandskämpfer mit der friulanischen Partisanendivision "Osoppo-Friuli" im Jahre 1944, in: zeitgeschichte, 7 (1988), 282-293; Michael Koschat: Die italienischen "Partisanenrepubliken" im Sommer und Herbst 1944. Improvisation oder historisches Modell? Dissertation, Universität Wien, 2003;  Ljuba Dornik Šubelj: Oddelek za zašÄito naroda za Slovenijo, Ljubljana 1999, 151-152; Peter Pirker/Ivo Jevnikar: "So geheim wie möglich", in: Die Presse, Spectrum, 14.4.2018, III.