NS-Gendarm: Wohin des Weges?
Kurier der Freiheit: Spazieren!

Stefan Hassler

Geburtsdatum 2.9.1919
Geburtsort Dellach
Todesdatum 11.11.1944
Todesort Dellach

Stefan Hassler desertierte im Frühsommer 1944 während eines Heimaturlaubs aus der Wehrmacht. Der damals 24-jährige Arbeiter, nach dem Verlust eines Auges in seiner Kindheit von markantem Aussehen, suchte nach der Desertion Zuflucht bei den friulanischen Partisanen in der Carnia südlich des Plöckenpasses.

Bei der Partisanenformation „Osoppo“ hielt sich eine Mission des britischen Geheimdienstes „Special Operations Executive“ (SOE) auf. Die Mission stand unter der Leitung des britischen Offiziers Manfred Czernin (ein Sohn des ehemaligen k.u.k. Diplomaten Otto Czernin) und hatte die Aufgabe, die Lage in Österreich zu erkunden und dort nach Möglichkeit Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu organisieren. Czernin rekrutierte Stefan Hassler im Juli 1944 als Kurier und Wegführer für diese Mission. Das Motiv Hasslers, die Briten zu unterstützen, ist in den Akten der SOE mit „patriotic Austrian feeling“ (Österreich-patriotische Einstellung) angeführt. Das Vorhaben der SOE stand im Einklang mit der Moskauer Deklaration der Alliierten vom November 1943, Österreich wiederzuerrichten. Die Alliierten forderten einen Beitrag der Österreicher zu ihrer Befreiung. Nach der Desertion hatte die Wehrmacht Stefan Hassler wegen Fahnenflucht zur Ermittlung und Festnahme ausgeschrieben.

Im Sommer 1944 überquerte Stefan Hassler im Auftrag von Manfred Czernin mehrmals die Grenze zum heutigen Österreich. Er fungierte als Wegführer und Kurier für den Tiroler Widerstandskämpfer und SOE-Mitarbeiter Hubert Mayr und organisierte für ihn Unterkunft und Verpflegung auf einem Bauernhof in Pirkach bei Oberdrauburg, wo seine Schwester als Ehefrau des Bauern lebte.

Auf einem seiner Wege im Dienste des Widerstandes wurde Stefan Hassler am 6. Oktober 1944 in einem Wald bei Oberdrauburg vom Gendarmeriemeister Franz Falkner angeschossen, ihm gelang aber die Flucht über die Karnischen Alpen in die Carnia. Nach der Genesung führte Stefan Hassler im Auftrag der SOE drei weitere Deserteure und SOE-Mitarbeiter, nämlich den Deutschen Robert Schollas, den Sudetendeutschen Karl Schmid und den Steirer Alois Pucher, in das Obere Drautal. Während Schollas und Schmid den Auftrag hatten, sich in Villach bei einer Kontaktadresse zu melden, um Verbindungen mit einer Partisanengruppe aufzunehmen, sollten Hassler und Pucher Aufbauarbeit für eine geplante SOE-Mission in Salzburg leisten.

Die Gruppe war schlecht ausgerüstet und verfügte über keine sicheren Identitätspapiere, die angesichts der strengen Überwachung dringend notwendig gewesen wären. Stefan Hassler brachte die Gruppe zunächst auf den Hof seiner Eltern in Dellach/Drau. Dort erhielten sie für zwei Tage Unterkunft und Verpflegung. Am 2. November 1944 überfielen die vier Deserteure und Widerstandskämpfer in Partisanenmanier den Hof eines regional bekannten Nationalsozialisten in Eben bei Greifenburg.

Sie gaben sich dort offen als österreichische Freiheitskämpfer zu erkennen und stellten nach der Beschlagnahmung von Ausweisen und Uniformen der NSDAP, Wäsche, Lebensmitteln, etwas Geld und Waffen eine Bestätigung aus, die nach Kriegsende vorgewiesen werden konnte. Den Wert der beschlagnahmten Gegenstände bezifferten sie mit 2500 RM. Verletzt wurde bei der Aktion niemand.

Noch in der Nacht begann die Verfolgung der Gruppe. Aufgeboten wurde die lokale Landwacht, die Ende 1943 aus etwa 80 Mann bestand. Auch die Bevölkerung wurde zur Mithilfe aufgerufen. Am folgenden Tag stellten zwei einheimische Landwachtmänner am Tröbelsberg Rudolf Schollas und Karl Schmid. Schollas wurde von einem der beiden erschossen, nachdem er angeblich zu seiner Waffe gegriffen hatte. Karl Schmid wurde verwundet festgenommen. Seine Angaben im Verhör führten zur Identifizierung Stefan Hasslers.

Bei der Durchsuchung des Leichnams von Robert Schollas fanden die Gendarmen einen Ausweis des friulanischen Partisanenkommandos. Die Partisanentätigkeit der Gruppe war den Behörden somit bekannt, die Verbindung zu den britischen Stellen blieb offenbar unentdeckt. An den folgenden beiden Tagen nahmen lokale Gendarmeriebeamte die Eltern Stefan Hasslers, Ludwig und Stefanie, sowie seine beiden Brüder Johann und Ludwig jun. fest und übergaben sie der Gestapo. Schließlich wurden sie in verschiedene KZ deportiert (siehe dazu Ludwig und Johann Hassler).

Die Jagd auf Stefan Hassler und Alois Pucher dauerte bis zum 11. November 1944, beteiligt waren lokale Landwachtmänner, die Gendarmerie, NSDAP-Funktionäre und Wehrmachtssoldaten einer in Dellach stationierten Kompanie. An diesem Tag überwältigte ein Suchtrupp Stefan Hassler in einem Graben bei Dellach im Schlaf und eskortierte ihn in die Ortschaft. Im Ortszentrum versuchte der Deserteur noch einmal zu flüchten. Als eine Gruppe von Schülern den Weg der Eskorte kreuzte, riss er sich los und rannte mit verbundenen Händen die Dorfstraße hinunter. Doch der Wehrmachtssoldat Otto Reinboth schoss ihm über die Köpfe der Schüler nach und tötete den Gefesselten mit zwei Schüssen in den Rücken.

Zwei Tage später wurde auf Anweisung der NSDAP-Ortsgruppe Dellach in der Nähe der Leichenhalle ein Stück Wiese aufgerissen, ein Loch gegraben und die Leiche von Stefan Hassler ohne Sarg hineingeworfen und verscharrt. Selbst in den Matriken der Pfarre Dellach findet sich zum Tod Stefan Hasslers keinerlei Eintragung.

Als seine Mutter Stefanie Hassler nach 1945 beim „Wiedergutmachungsausschuss“ des Landes Kärnten um Anerkennung als NS-Opfer ansucht und dabei die Partisanentätigkeit Stefans, den Tod ihres Mannes Ludwig und ihres Sohnes Johann im KZ Dachau sowie ihre eigene KZ-Haft aufgrund politischer Verfolgung anführt, wird sie abgewiesen – bis 1953 insgesamt fünf Mal. Die im Wesentlichen immer gleichlautende Begründung Stefanie Hasslers wird im Wesentlichen immer gleichlautend verworfen. Die Verfolgung sei nicht aus politischen Gründen, sondern wegen Raubüberfällen passiert. 

Die Behörden stützen sich auf Darstellungen des Partisanenüberfalls von Eben, verfasst von lokalen Gendarmen, die zum Teil selbst an der Verfolgung Stefan Hasslers beteiligt waren und sich nach 1945 weiter – wie der Oberdrauburger Gendarm Franz Falkner – im Dienst befanden. Die Verdienste Stefan Hassler im Kampf gegen das NS-Regime, die einwandfrei nachweisbar sind, wurden von seiner Heimatgemeinde bislang nicht entsprechend gewürdigt. Im Gegenteil: Im lokalen Gedächtnis firmiert Stefan Hassler immer noch als der Unruhestifter und gefährliche Verbrecher, zu dem ihn die Nationalsozialisten gestempelt hatten.

Während des Nationalsozialismus war jedem Widerstandskämpfer klar, was ihn erwartet, sollte er von den NS-Behörden gefasst werden. Der Skandal im Fall Stefan Hassler ist daher weniger, dass er gejagt und rücklings erschossen wurde, sondern dass diese Tat in der wiedererstandenen demokratischen Republik Österreich, für die Stefan Hassler gekämpft hat, ungesühnt geblieben ist und, mehr noch, er und seine Familie dem Rufmord der Nachkriegsgesellschaft anheimgefallen sind.

Auf einer Gedenktafel für die gefallenen Soldaten der Wehrmacht am Friedhof in Dellach firmiert Stefan Hassler als jemand, der sein Leben für Führer, Volk und Vaterland gegeben hat, als wäre er an einer Kriegsfront gefallen. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass er gegen den Nationalsozialismus gekämpft hat und dabei an der „Heimatfront“, im Ortszentrum seines Heimatdorfes, erschossen worden ist.

Siehe auch Georg Dereatti, Johann und Ludwig Hassler, Hubert Mayr, Rudolf Moser, Robert Schollas

Quellen

Chroniken der Gendarmerieposten Dellach/Drau (DÖW 17858/3), Oberdrauburg (DÖW17858/15), Möllbrücke (DÖW 17858/14); KLA KLR-4 2625/5; KLA LGK 17Vr404/46; TNA PF Stefan Hassler HS 9/674/1; Verschiedene Dokumente in TNA HS 6/22, TNA HS6/850; Volkswille, 8.6.1946, S. 7; Interviews mit Paula de Zordo (27.5.2004), Ludwig Hassler (4.4.2003), Josef Hassler (27.5.2004), Siegfried Hassler (27.5.2004), Lorenz Oberhauser (20.7.1996/April 2000); Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau (9.4.2003); WASt Berlin (27.9.2001); Pfarrmatriken, Archiv der Diözese Gurk.

Literatur

Peter Pirker: Grenzgänger der Volksgemeinschaft, in: Peter Pirker (Hg.): Patrick Martin-Smith, Widerstand vom Himmel, Wien 2004, 324-356; Peter Pirker, Der Stand der Dinge, in: Die Presse/Spectrum, 15.2.2003, IV; Peter Pirker: Grenzgänger der Volksgemeinschaft. Ein Deserteur und Partisan im Oberen Drautal, Journal Panorama, Ö1, 9.10.2000; Michael Koschat: Die Kooperation österreichischer Widerstandskämpfer mit der friulanischen Partisanenformation "Osoppo-Friuli" im Jahre 1944, in: Zeitgeschichte, 7/1988, 282-293; Michael Koschat: Die italienischen "Partisanenrepubliken" im Sommer und Herbst 1944, phil. Diss., Wien 2003, 1932-1942; August Walzl: Gegen den Nationalsozialismus, Klagenfurt 1994, 210f.