...wegen ihrer freien österreichischen Willensäußerung

Dionys Berger

Geburtsdatum 25.9.1912
Geburtsort Irschen
Todesdatum April 1944
Todesort Anatoliewka

Dionys Berger stammte aus einer katholischen Bauernfamilie in Irschen, die im Haus Hintergassen 3, vulgo Freimann, lebte. Er arbeitete in der elterlichen Landwirtschaft. Eigentlich hätte er Gendarmeriebeamter werden wollen. Am 10. April 1939 heiratete er Marianne Golger aus Rangersdorf. Die beiden bekamen zwei Töchter: Am 13. Februar 1940 kam Maria zur Welt, am 3. Dezember 1943 wurde Irma geboren. Marianne Berger starb bereits 1963 im Alter von 48 Jahren.

Als Katholik lehnte Dionys Berger das NS-Regime und die Kriegspolitik Hitlers ab. Nach dem Angriff Deutschlands auf Polen im September 1939 traf er sich mit seinem Freund und Nachbarn Martin Nagele, vulgo Scheids, regelmäßig im Haus von Dionys Simoner, dem dritten Nachbar in Hintergassen (vulgo Einfahrer), um verbotene ausländische Radiosendungen abzuhören. Sie erzählten von diesen Nachrichten auch anderen. Die Gruppe wurde jedoch denunziert. Im Dezember 1939 erhielt die Gestapo in Lienz jedenfalls einen Hinweis auf die verbotenen Radiotreffen in Hintergassen.

Einem Bericht der Gendarmerie Irschen an das Landesgendarmeriekommando Kärnten vom 15.5.1946 ist folgendes zu entnehmen: „Im Dezember 1939 wurden 4 in der Gemeinde Irschen wohnhaften Personen wegen ihrer freien österreichischen Willensäußerung von der Gestapo verhaftet und in Anhaltelagern interniert. Durch diese von der Gestapo und den politischen Funktionären getroffenen Maßnahmen war die Bevölkerung in ständiger Furcht.“ Die vier Personen waren Dionys Berger, Martin Nagele, Dionys Simoner und dessen Schwester Anna Simoner, alle aus Hintergassen.

Tatsächlich war es der 10. Jänner 1940, an dem Gestapo-Beamte aus Lienz in Hintergassen erschienen und Dionys Berger, Martin Nagele, Dionys und Anna Simoner verhafteten. Nach den ersten Verhören wurden sie nach Klagenfurt überstellt und dort auf Antrag der Gestapo vom Sondergericht angeklagt, nach § 1 und § 2 der Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen vom 7. September 1939. Propagandaminister Joesph Goebbels hatte damit das Hören ausländischer Radiosender und das Verbreiten von Informationen dieser Sender als „Rundfunkverbrechen“ unter Strafe gestellt. Im Blick hatte Goebbels zu Kriegsbeginn vor allem die deutschsprachigen Nachrichtensendungen des britischen Senders BBC. Das vorgesehene Strafmaß reichte von Zuchthaus bis zur Todesstrafe.

Der Prozess ging am 26. März 1940 im Landesgericht Klagenfurt über die Bühne. Das Urteil fiel relativ hart aus: Anna Simoner wurde zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt, Dionys Berger und Martin Nagele zu 18 Monaten Zuchthaus und Verlust der Wehrwürdigkeit. Das Strafausmaß gegen Dionys Simoner ist nicht bekannt.

Dionys Berger und Martin Nagele wurden in das Zuchthaus Halle an der Saale und von dort in das Arbeitslager Rothenburg verbracht, wo sie in einem Steinbruch arbeiten mussten. Im September erfolgte die Deportation in die berüchtigten Strafgefangenenlager im Emsland, wo sie schwere Zwangsarbeit bei der Entsumpfung der Moorlandschaft leisten mussten. Dionys Berger war dort im Lager III Brual-Rhede, Martin Nagele im Lager Börgermoor inhaftiert. Dies geht aus einer Häftlingskarte und einer Häftlingstransportliste hervor, die im Niedersächsischen Landesarchiv aufbewahrt werden. Es sind die einzigen dokumentarischen Zeugnisse der Verfolgung der beiden durch die Nazi-Justiz, denn die Kärntner Justizbehörden zerstörten in den 1980er Jahren einen Großteil der Akten des Sondergerichtes Klagenfurt – damit wurde auch eine genaue Rekonstruktion und Dokumentation der Verfolgung verunmöglicht. Warum diese Zerstörung geschah, ist eine eigene Geschichte, der erst nachzugehen ist.

Im August 1941 wurden die beiden auf Bewährung entlassen, die vollständige Verbüßung der Haft wurde bis 31.7.1944 ausgesetzt. Ein Hintergrund bedingter Haftentlassungen war, dass die Wehrmacht „Menschenmaterial“ für die Kriegsführung benötigte. So wurde Martin Nagele und Dionys Berger die Wehrwürdigkeit wieder zuerkannt, was bedeutete, dass sie von der Wehrmacht eingezogen werden konnten

Beide durften zunächst – vermutlich zur Aufrechterhaltung der landwirtschaftlichen Betriebe – zu Hause bleiben, wurde aber, wie einem Schreiben des Gendarmerieposten Irschen vom 17. Juni 1949 zu entnehmen ist, wegen nazifeindlicher Einstellung „bei der Zuteilung von Kunstdünger, Saatgut sowie Baustoffen“ stark benachteiligt. 1943 wurden sie zur Wehrmacht eingezogen. Während Martin Nagele zu einer Einheit nach Nordafrika verlegt wurde, erhielt Dionys Berger die Einberufung zum Gebirgsjäger-Ersatz-Regiment 139 in Villach. Von dort wurde er in das Gebirgsjäger-Regiment 144 überstellt, das an der Front in Russland kämpfte. Die Wehrmacht hatte die Sowjetunion im Juli 1941 überfallen und war tief in das Land vorgedrungen. Doch 1943/44 führte die deutsche Armee längst Rückzugsgefechte unter großen Verlusten, so auch das Gebirgsjäger-Regiment 144 in der heutigen Ukraine.

Dionys Berger verschwand im Kriegsgrauen. Die Wehrmacht registrierte ihn das letzte Mal am 2. April 1944 als „bei Anatoliewka / Russland vermisst“. Die Hoffnung, dass er wie sein Freund Martin Nagele in Kriegsgefangenschaft geraten war, erfüllte sich für seine Mutter, seine Frau Marianne und die Töchter Ria und Irma nicht.

1953 erklärte das Landesgericht Klagenfurt, dass die Verurteilung von Dionys Berger und Martin Nagele durch das Sondergericht der NS-Justiz als nicht erfolgt gilt. Damit waren Dionys Berger und Martin Nagele juristisch rehabilitiert und die Verurteilung als Unrecht des NS-Staates anerkannt worden.

Aber Marianne Berger, die mit der Schwiegermutter und den beiden Töchtern Ria und Irma auf sich gestellt war, lebte weiterhin in Furcht und Misstrauen. Ihr Grundvertrauen war durch die Anzeige, die Festnahme und die Verfolgung ihres Mannes durch die Nationalsozialisten und seinen Tod zutiefst erschüttert worden. Ob sie je Unterstützung aus der Opferfürsorge oder der Kriegsopferversorgung erhalten hat, ist unklar. Jedenfalls ist im Kärntner Landesarchiv weder ein Opferfürsorge- noch ein Kriegsopferversorgungsakt zugunsten von Marianne Berger vorhanden. Das Radio blieb für sie eine Quelle der Gefahr: Bis weit in die 1950er Jahre versperrte sie das Gerät in einem Kasten, damit die Kinder nicht willkürlich Sender suchen und hören konnten. Die Kinder durften vor dem Haus nichts laut erzählen: „Geht herein und macht die Tür zu“, wurden sie von Mutter und Großmutter ermahnt.

Martin Nagele trug von Zuchthaus und Straflager, von Fronteinsatz und Kriegsgefangenschaft schwere gesundheitliche Schäden davon. Wie seine Schwiegertochter berichtete, tat er sich bis zu seinem Tod im Jahr 2006 schwer, das Erlebte in Worte zu fassen.

Anna Simoner überstand zwei Jahre Haft in der Strafanstalt Laufen in Oberbayern. Wo ihr Bruder Dionys inhaftiert war, ist unbekannt. Nach der Entlassung sollen die beiden nicht mehr in der Lage gewesen sein, den Bauernhof weiterzuführen

Quellen

Matrikenblatt über die Gemeindeangehörigen der Gemeinde Irschen, Gemeindearchiv Irschen; Gendarmeriepostenkommando Irschen, Darstellung der nat.-soz. Okkupationspolitik, 15.5.1946, DÖW 8352; Landesgericht Klagenfurt, Abt. 6, Beschluss, 6 Ns 482/53, 3.6.1953, Gemeindearchiv Irschen, Strafprotokolle; 2. Transport, Durchgangsgefangene, Lingen/Emsland, 24.8.1940, Niedersächsisches Landesarchiv, LA-OS Rep 947 Lin I Nr. 154; Opferfürsorgeakt Martin Nagele, Kärntner Landesarchiv, AKL, Abt. 14, OF-302; Gespräch mit Ria Saringer, 04.02.2021; Gespräch mit Monika Nagele, 07.09.2021; Schreiben des Bundesarchiv Berlin zu Dionys Berger, 08.09.2021; Opferfürsorgeakt Anna Simoner, KLA, AKL, Abt. 14, OF-434.